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Interview mit Thomas Schmidinger, Politikwissenschafter

Thomas Schmidinger ist Politikwissenschafter, Sozial- und Kulturanthropologe und Lektor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Ein Schwerpunkt seiner Forschung ist der politische Islam. Er ist Mitbegründer der Initiative „Netzwerk sozialer Zusammenhalt“ und hält Workshops und Vorträge zum Thema „De-Radikalisierung“.

Wir haben mit ihm im Februar 2016 über extremistische Ideologien und Radikalisierung gesprochen. 

Warum fühlen sich Jugendliche von radikalen Ideologien angezogen?

Die konkreten Gründe sind jeweils sehr unterschiedlich. Was ich als Gemeinsamkeit sehen würde, ist, dass das Jugendliche sind, die in einer Phase ihres Lebens, in der viele nach ihrem Platz in der Gesellschaft suchen, schwere Entfremdungserfahrungen gemacht haben und die dann von den falschen Gruppen abgeholt werden. Diese geben ihnen dann, was sie suchen: Identität, Halt, Sinn, Nestwärme. Die konkreten Ursachen für diese schweren Entfremdungserfahrungen sind dann aber so unterschiedlich, wie die Lebensgeschichten der Betroffenen.

Es kann dabei um Diskriminierungserfahrungen gehen, aber das ist keineswegs der einzige Grund. Oft geht es auch um zerrüttete Familienverhältnisse, Zukunftsängste, psychische Probleme oder Probleme im Umgang mit der eigenen Sexualität. Es sind auch keineswegs nur Jugendliche aus muslimischen Familien oder ausschließlich aus ärmeren Schichten davon betroffen.

Was macht aktuell eine Terrororganisation wie den „Islamischen Staat“ so attraktiv für Jugendliche?

Der so genannte „Islamische Staat“ setzt sich derzeit als das extremistischste Gegenkonzept zur liberalen Demokratie in Szene. Der IS verfügt aber über ein Territorium und suggeriert seinen AnhängerInnen, dass er hier und jetzt eine vermeintlich ideale Gesellschaft als Alternative zu liberalen demokratischen und kapitalistischen Staaten aufbaut. Er vermittelt das Gefühl, Teil eines historischen Projekts zu sein und bietet auch für jene eine Anlaufstelle, die gerade von der exzessiven Gewalt des IS angezogen sind. Der IS ist die erste derartige Organisation, die ihre exzessive Gewalt nicht verschleiert, sondern für die eigene Propaganda benutzt. Diesbezüglich gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Viele der männlichen Anhänger des IS sind gerade von dieser Gewalt fasziniert und schließen sich dem IS auch gerade deswegen an, weil er ihnen die Möglichkeit gibt, zu töten, zu foltern und zu vergewaltigen. Bei jungen Frauen ist es eher so, dass diese sich aus einem übertriebenen Altruismus heraus nach Syrien begeben und seltsame Vorstellungen davon haben, den „armen Kindern“ zu helfen. Bei beiden Geschlechtern spielt aber Sexualität auf unterschiedliche Art eine wichtige Rolle. Während bei Burschen das Versprechen auf weibliche „Kriegsbeute“ winkt und der IS hier wirklich auch damit wirbt, dass seine Kämpfer die erbeuteten jesidischen Mädchen und Frauen vergewaltigen dürfen, träumen junge Mädchen oft von ihrem romantischen Helden, der noch mit der Waffe in der Hand für etwas kämpft, und werden dann über soziale Medien über eine Art „flirtfishing“ angeworben.

Welche Rolle spielen das Internet und soziale Medien bei der Radikalisierung von Jugendlichen?

Wir kennen eigentlich keinen Fall von Selbstradikalisierung ausschließlich durch Propaganda im Internet. Wer sich aber einmal über den persönlichen Kontakt zum Umfeld des Jihadismus, etwa über die politisch-salafitische „Lies!“-Kampagne für diese Ideologie zu interessieren begonnen hat, für den werden einschlägige Webseiten, Videos und soziale Medien oft zu einer Art jihadistischem „Fortbildungsprogramm“. Aus diesen Medien kann man sich dann ideologisch gefilterte Informationen holen, die das jeweils eigene Weltbild bestätigen und den vermeintlichen Feind immer todeswürdiger erscheinen lassen. Zudem ist es damit möglich, sich als Teil einer großen weltumspannenden Gemeinschaft zu fühlen und virtuell am vermeintlichen „Jihad“ teilzunehmen, noch lange bevor man wirklich nach Syrien abreist.

Welche Präventionsmaßnahmen gibt es, um einer Radikalisierung von Jugendlichen vorzubeugen?

Im Bereich der Prävention geht es darum, wirklich diese unterschiedlichen Entfremdungserfahrungen zu bearbeiten, die Jugendliche für solche Identitätsangebote vulnerabel machen. Da geht es um klassische soziale Arbeit, Berufs- und Bildungsperspektiven, psychotherapeutische und familientherapeutische Angebote, aber auch politische Bildung an Schulen, die darauf abzielen muss, Jugendlichen auch Möglichkeiten zu einer konstruktiven Veränderung der Gesellschaft aufzuzeigen, Demokratie und Menschenrechte also wirklich mit Leben zu füllen und grundsätzliche Fragen, wie unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem aufgebaut sein soll, wieder diskutierbar zu machen. Die Verkündigung vom „Ende der Geschichte“ und von den vermeintlichen „Sachzwängen“, die eine neoliberale Politik als vermeintlich alternativlos dargestellt haben, haben mit dazu beigetragen, dass extremistische demokratiefeindliche Alternativen so attraktiv geworden sind. 

Für Jugendliche und junge Erwachsene die sich bereits in Richtung Jihadismus entwickelt haben, wäre es jedoch auch enorm wichtig, professionelle Einrichtungen zu schaffen, die sich intensiv um De-Radikalisierung oder besser um De-Fanatisierung kümmern können. Dafür gibt es in Österreich mit der „Beratungsstelle Extremismus“ bisher bestenfalls erste Ansätze. 

Welche Rolle kommt staatlichen Einrichtungen, Religionsgemeinschaften und der Jugendarbeit in der Prävention und De-Radikalisierung von Jugendlichen zu?

Der Staat hätte vor allem professionelle Einrichtungen, die sich mit Prävention und De-Fanatisierung beschäftigen, zu finanzieren. Da geht es nicht um irgendeine Alibi-Stelle, sondern würde es darum gehen, auch in den Bundesländern ausreichend qualifizierte Leute heranzubilden, die als Ansprechpartner für Angehörige in der jeweiligen Region dienen können und zugleich auch die Szene beobachten und Veränderungen nachvollziehen können. 

Am Ende eines Fanatisierungsprozesses, wenn Betroffene straffällig werden, kommt dem Staat selbstverständlich dann auch eine repressive Funktion zu. Hier bräuchte es keine Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen, sondern v.a. ausreichende kompetente MitarbeiterInnen in den Polizeiapparaten, die auch die verschiedenen Communities gut kennen, selbst die Diversität der österreichischen Bevölkerung widerspiegeln sollten und damit so etwas wie „community policing“ ermöglichen können. Zur Überwachung der Szene braucht es schließlich ausreichende „human intelligence“ und nicht noch mehr technische Überwachungsmöglichkeiten.

Religionsgemeinschaften können vor allem darauf achten, dass sie Sinnsuchenden ein Angebot machen, das eben nicht extremistisch ist. De-Radikalisierung ist allerdings nicht etwas, was man an die Religionsgemeinschaften auslagern kann. Der Jugend- und Sozialarbeit kommt im präventiven Bereich eine gewisse Bedeutung zu, genauso allerdings der Schule und Schulpsychologie. 

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gedruckt am: Freitag, 15. März 2024