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Interview mit Reinhard Hinger, Senatspräsident und Sprecher des Oberlandesgerichts

Reinhard Hinger ist seit 1987 Richter und arbeitete seither am Bezirksgericht Innere Stadt Wien, am Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien und im Justizministerium. Derzeit arbeitet er am Oberlandesgericht Wien. Er ist auch Mediensprecher dieses Gerichts.

Wir haben mit ihm im Jänner 2019 über das Thema „Gericht und Rechtsprechung“ gesprochen.

Wie würden Sie einem Kind Ihren Beruf in wenigen Sätzen erklären?

Wir Richterinnen und Richter treffen Entscheidungen, wenn die Menschen Konflikte nicht selbst lösen können. Wir sind dabei nur an das Gesetz gebunden. Niemand kann uns befehlen, wie wir einen Fall zu entscheiden haben. Dadurch wird verhindert, dass einfach nur jene Person einen Prozess gewinnt, die mehr Geld hat oder mächtiger ist oder eine bestimmte politische Gesinnung, eine bestimmte Herkunft, eine bestimmte Hautfarbe hat – und so weiter. Auch der Staat selbst, die Politiker, die großen Unternehmen müssen die Urteile der Gerichte befolgen. 

Wieso haben Sie sich für den Beruf als Richter entschieden? Wie kann man sich die Ausbildung zum Richter/ zur Richterin vorstellen?

Ich bin Richter geworden, weil ich in diesem Beruf die Gesetze, die ich studiert habe, sehr gut im Alltag anwenden kann. Ich hoffe auch sehr und glaube daran, durch meine Arbeit einen Beitrag zur Gerechtigkeit leisten zu können. Weil der Beruf schwierig ist, ist die Ausbildung ziemlich lang. Man muss mindestens vier Jahre an der Universität studieren und danach wird man vier Jahre lang im praktischen Betrieb ausgebildet.

Wie kommen RichterInnen zu ihren Entscheidungen?

Vor jeder Entscheidung gibt es ein ausführliches Gerichtsverfahren, bei dem die Richterinnen und Richter genau zuhören, Zeugen befragen, Urkunden genau lesen, sowie – wenn es nötig ist – Gutachten von Sachverständigen einholen und danach ein Urteil fällen, das schriftlich genau begründet werden muss. Jedes Urteil kann bei einem höheren Gericht bekämpft werden, bei besonders wichtigen Fällen geht das Verfahren bis zum Obersten Gerichtshof.

Können RichterInnen überhaupt „objektiv“ und „neutral“ entscheiden?

Ich glaube das schon, denn der größte Vorteil ist es, dass wir bei unseren Entscheidungen keine eigenen Interessen verfolgen, sondern ohne jede Einschränkung nur unserem Gewissen und unserem Verstand folgen können. Für unser Berufsleben ist es ganz gleichgültig, ob wir in einem bestimmten Fall so oder anders entscheiden. Wenn am Verfahren zum Beispiel Personen beteiligt sind, die wir privat kennen, dürfen wir ohnedies nicht selbst entscheiden, sondern es muss jemand anderer den Prozess führen.

Wie hat sich der Beruf des Richters/der Richterin im Laufe der Zeit verändert?

Stark geändert haben sich die technischen Umstände unseres Arbeitsplatzes. Auch wir haben Computer-Arbeitsplätze. Alle Gesetze können wir über den Computer abrufen, alle wichtigen Entscheidungen, die früher getroffen wurden und die bei komplizierten Rechtsfragen hilfreich sind, sind im Internet veröffentlicht.

Unsere Aufgabe und die wichtigsten Tätigkeiten haben sich aber nicht geändert: Es gibt noch immer und auch in der Zukunft die Gerichtsverhandlungen, bei denen alle mitwirkenden Personen anwesend sind und angehört werden.

Was sollte Ihrer Meinung nach jedes Kind in Österreich über das Rechtssystem/über Gerichte wissen?

Die Gerichte in Österreich funktionieren sehr gut. Im Vergleich mit vielen anderen Ländern dauern die Verfahren nicht sehr lang. Wichtig ist aber, dass bei einem Prozess immer nur eine Seite gewinnen kann. Einen Prozess zu „verlieren” ist immer schwierig und enttäuschend, aber nur wenn man die endgültige Entscheidung akzeptiert, kann man auch friedlich zusammenleben. Besser ist es natürlich immer, einen Streit vernünftig und friedlich zu beenden. Es gibt aber einfach Fälle, bei denen das nicht möglich ist und man auf die Hilfe der Gerichte angewiesen ist.
In Österreich kann man auf die Gerichte vertrauen.

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gedruckt am: Freitag, 15. März 2024